Zur Bedeutung Adolf Reichweins für die Seminarentwicklung

Zum 1. August 1994 wird dem Studienseminar Westerburg der Name Adolf-Reichwein-Studienseminar vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Bildung und Kultur offiziell verliehen. Kollegium und Seminarleitung sind der Meinung, dass die Einführung eines dem Ausbildungsauftrag angemessenen Namenspatronats identitätsfördernd und profilbildend wirken kann.
Mit dem Namen Adolf Reichwein, dem Reformpädagogen, Erwachsenen- und Lehrerbildner, Museumspädagogen und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, der zudem aus der Region des Westerwaldes stammt (Geburtsort: Bad Ems), glaubt das Kollegium, ein fortschrittliches und offenes Seminarkonzept gut verbinden zu können. So erscheinen Reichweins schulpädagogische Gedanken, die er in seinen beiden Schriften "Schaffendes Schulvolk" (1937) und "Film in der Landschule" (1938) darstellte und begründete, auch für die heutige Schule und Lehrerausbildung in Theorie und Praxis bedeutsam und hochaktuell. [1]
Reichweins einmalige Leistung als Lehrerpersönlichkeit wird insbesondere auch darin gesehen, dass er seine reformpädagogische Arbeit an der einklassigen Landschule in Tiefensee unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Herrschaft leistete.
Adolf Reichweins Konzepte und Erfahrungen stützen die innere Entwicklung des Studienseminars. Zu betonen sind hier seine Vorstellungen von einer humanen und demokratischen Schule, die Öffnung von Schule und Unterricht, seine überzeugende Förderung selbständigen, sozialen und methodischen Lernens sowie die Prinzipien und Beispiele einer Projekt-, Problem- und Handlungsorientierung der pädagogischen Arbeit.
Adolf Reichwein setzte "an die Stelle des 'reproduktiven' Schülers das 'produktive' Kind" [2], wobei Unterricht und Schulleben Individualität und soziale Verantwortung zu verbinden suchten. Seinem sozialerzieherischen Leitmotiv folgend wurden darüber hinaus Fahrt, Fest und Feier zu zentralen Elementen eines Schullebens, für das die aktive Mitarbeit der Eltern und die Öffnung gegenüber der Dorfgemeinde von besonderer Bedeutung waren.
Ein Vater, der in Tiefensee nach seinen Eindrücken zu Adolf Reichwein befragt wurde, antwortete: "Der Professor? Wissen Sie, der hat unsere Kinder frei gemacht." [3]
Vgl. KRÄMER, Ulrich: Seminarentwicklung und Lehrerausbildung am Beispiel des Adolf-Reichwein-Studienseminars Westerburg. In: AMLUNG, Ullrich/JUNGBLUTH, Uli (Hg.): Seminarwerkstatt Offener Unterricht – am Beispiel Adolf Reichweins lernen (= Studientexte für das Lehramt, Band 3). Neuwied, Kriftel 2000, S. 25 ff.-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
[1] Eine kommentierte Neuausgabe der Schulschriften Reichweins ist 1993 im Beltz-Verlag (Weinheim/Basel), herausgegeben von W. Klafki, U. Amlung, H. Chr. Berg, H. Lenzen, P. Meyer, W. Wittenbruch, erschienen.
[2] REICHWEIN, Adolf: Schaffendes Schulvolk. Stuttgart und Berlin 1937, S. 85.
[3] BOHNENKAMP, Hans: Geleitwort zur Neuausgabe. In: Adolf Reichwein: Schaffendes Schulvolk. Neu herausgegeben von seinen Freunden – mit Geleitworten von Hans Bohnenkamp, Braunschweig 1964 und 1967,